Webinar – Geschichten, für die es sich zu sterben lohnt

Schreiben, Leben und Sterben mit ganzem Herzen

Live-Webinar mit Story Nurse Sabrina Görlitz und Story Coach April Bosshard

Ich denke in Geschichten. Das ist meine Art, die Welt, das Leben und den Tod zu betrachten und zu versuchen, dem Ganzen einen Sinn zu geben. Die Prinzipien des traditionellen Geschichtenerzählens zu kennen, hilft auch mir und meinen Klienten, die wahre Essenz ihres Lebens angesichts des Todes einzufangen.
Für mich sind wir alle kleine Geschichten, die zu einer „großen Geschichte“ gehören. Es kann eine sehr bedeutsame als auch friedliche Erfahrung am Ende des Lebens sein, diese Verbindung so deutlich zu sehen und die Gewissheit zu haben, dass die eigene Geschichte einen Unterschied in der Welt gemacht hat. Und dass sie dies auch weiterhin tun wird, weil sie bewahrt und weitergegeben wird. 
April Bosshard, Story-Coach aus Vancouver, Kanada, und ich lernten uns 2019 kennen. Diese Begegnung erwies sich im Nachhinein nicht nur als eine wunderbare Geschichte an sich (einige von euch kennen die Geschichte vielleicht schon aus meinem Buch), sondern sie gab auch den Anstoß für meinen eigenen Buchschreibprozess. Darüber hinaus haben die  Gespräche und das Lernen von April meine Arbeit mit Sterbenden in den letzten fünf Jahren kontinuierlich inspiriert und beeinflusst. Sie ist eine so treue Verfechterin der Erzählkunst, sie weiß so viel über das Geschichtenerzählen und hat zahlreichen angehenden Schriftsteller*innen aus aller Welt dabei geholfen, ihre Geschichte zu Papier zu bringen. 

Ich werde im September an Aprils Deep Writing Retreat https://www.deepstorydesign.com/retreat-sept-2024/ auf Salt
Spring Island teilnehmen, um ein neues Buchprojekt auf den Weg zu bringen. In diesem Zusammenhang haben April und ich beschlossen, am 29. September 2014 um 11 Uhr pazifischer Zeit (20 Uhr deutsche Zeit) ein kostenloses Live-Webinar aufzunehmen. In dieser Sitzung werden wir darüber sprechen, wie das Bewusstsein über und die Integration guter Erzählprinzipien nicht nur einen bedeutenden Unterschied für das Schreiben von Geschichten ausmachen kann, sondern wie dieses Wissen auch dazu inspirieren kann, ein tieferes und bedeutungsvolleres Leben zu führen. Ein Leben, das deinem wahren Wesen entspricht und dich sein lässt, wer du wirklich bist. Ich habe oft erlebt, wie ein Leben, das einer guten Geschichte ähnelt (und das bedeutet nicht, dass nur „gute“ Dinge darin passiert sind), es auch einfacher machen kann, dieses Leben loszulassen, wenn es Zeit ist zu sterben.

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Zoom-Anmeldung:
https://us02web.zoom.us/meeting/register/tZAoc-uqpzkiGtM2N4Dx6vRpRA94YOQnwijp

Ausstellung von Mark-Roger Badel

13 Monde

Das Leben in all seinen Facetten

Der Künstler Mark-Roger Badel war mehrere Wochen Patient auf der Palliativstation und hat mit mir eine Palligrafie angefertigt – jetzt kehrte er für eine ganz besondere Ausstellung zurück.

„It happens once in a blue moon“. Eine deutsche Entsprechung für diese Redewendung ist, dass etwas nur „alle Jubeljahre einmal passiert“, also wenn etwas sehr selten ist. Während der Begriff „Jubeljahre“ dem Alten Testament entstammt, kommt die Bezeichnung „blue moon“ aus dem 16. Jahrhundert, als die Menschen für eine Zeitlang glaubten, dass der Mond in Wirklichkeit blau ist. Wissenschaftler zu der Zeit taten es als eine bizarre Idee ab, und trotzdem gab es an verschiedenen Orten der Welt immer mal wieder, wenn auch eben sehr selten, Sichtungen eines blauen Mondes, z.B. während eines Vulkanausbruches oder während eines Tsunamis. So verbreitete sich die Redewendung „Once in blue moon“, und schließlich wurde sie auch auf den gregorianischen Kalender übertragen und angewendet, nämlich auf die Monate, in denen zwei Vollmonde am Himmel stehen. Und das kommt etwa alle zweieinhalb Jahre vor.

Warum erzähle ich das? Nun, seit rund fünf Jahren zeichne ich die Biografien von Menschen mit einer palliativen Erkrankung auf, erstelle sogenannte „Palligrafien“, und in dieser Zeit sind alle Menschen, denen ich im Zuge dieser Arbeit begegnet bin, auch nach und nach und ihrer Diagnose entsprechend verstorben. Bis auf zwei. Stand jetzt könnte ich also sagen, alle zweieinhalb Jahre überlebt jemand seine Prognose um ein Vielfaches. Once in a blue moon. So wie der Künstler Mark-Roger Badel, der an einer seltenen und normalerweise tödlich verlaufenden Viruserkrankung leidet. Spannenderweise kam er im August 2023 zu uns auf die Palliativstation, dem jüngsten „blue moon“ unserer Zeitrechnung.  

Als ich Mark-Roger im Spätsommer des vergangenen Jahres traf, hatte er aber gar nicht vor, eine Ausnahme zu sein. Anders als viele andere Menschen, denen ich begegne, war der Wunsch oder die Hoffnung auf „mehr“ Zeit bei ihm gar nicht so groß. Im Gegenteil, da war sogar eine Sehnsucht, endlich nach „Hause gehen zu dürfen“. Denn, so erzählte er mir, so richtig „zuhause“ hatte er sich auf diesem Planeten eigentlich nie gefühlt. Zu Sterben, das war okay für ihn, denn Sterben bedeutete für ihn nicht das Ende des Lebens, sondern nur ein Teil davon. Sterben, das ist auch Leben, sagte er, nur geht es nach dem Tod dann eben woanders weiter. 

Mark-Roger hatte seine Koffer also schon gepackt, metaphorisch gesprochen, aber seiner Abreise stand noch diese experimentelle Studie im Weg, für den ihn die Ärztin einer anderen Klinik mehr oder minder ungefragt angemeldet hatte. „Herr Badel, es gibt da diese Studie in Hannover, die erzielt bisher ganz gute Ergebnisse, ich habe Sie dafür angemeldet, das ist doch sicher in Ihrem Sinne!“ 

Aber als Mark-Roger zu uns auf die Station kam, war er sich auf einmal gar nicht mehr so sicher, ob das wirklich so in seinem Sinne war. Noch eine Ehrenrunde drehen auf dieser Erde, auf der er sich so heimatlos fühlte, und dann auch noch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Rollstuhl sitzend, immer auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen? So richtig vorstellen konnte er sich das nicht. 
Aber, so stellte sich in unserer Arbeit heraus, irgendwie übte diese Studie auch einen Reiz auf ihn aus, nämlich Teil eines möglicherweise bahnbrechenden Experiments zu sein, und – vielleicht müsst er sich ja auch gar nicht entscheiden, sondern er könnte ja auch das Leben für ihn entscheiden lassen. Denn eigentlich glaubte er schon daran, dass wir Menschen uns durch unser Handeln und Denken viel mehr in unser Leben manifestieren, als wir uns überhaupt gewahr sind.

Vielleicht hing ein Teil von ihm ja doch noch am Leben, ohne dass es Mark-Roger jetzt schon gänzlich bewusst war, sonst wäre diese Studie wahrscheinlich auch gar nicht auf einmal aufgetaucht. Und vermutlich hätte er sich dann vielleicht auch ein bisschen vehementer gegen die Teilnahme gewehrt. Außerdem, und das wurde dann auch der Titel seiner Palligrafie, hatte er in seinem Leben „immer versucht, alles was ist, anzunehmen.“ 

Mark-Roger brach die Studie nicht ab, und als er die Palliativstation schließlich verließ, hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass seine Geschichte, anders als bei all den anderen Menschen, deren Lebensgeschichten ich zuvor aufgezeichnet hatte, noch nicht zu Ende war. 
Umso mehr habe ich mich dann auch gefreut, als irgendwann der Anruf aus der neurologischen Frühreha kam, und Mark-Roger mir von seinen Fortschritten erzählte und von seiner Idee, auf der Palliativstation eine Ausstellung zu machen. Klar, dachte ich, warum nicht, ich kann ja mal fragen. 

Seit jenem Anruf sind wieder ein paar Monate vergangen, in denen ich Mark-Roger mehrmals in seinem neuen Zuhause, der Seniorenresidenz „Zum Hoisdorfer Teich“, besucht habe, wo er seit Abschluss seiner Reha lebt. Und gleich beim ersten Mal, als ich dort war, an diesem idyllischen Ort mitten im Grünen, habe ich ihm eine große Veränderung sofort angesehen, denn sie stand ihm nahezu ins Gesicht geschrieben: Mark-Roger fühlt sich in Hoisdorf, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, wirklich zuhause. 

Und auch seine Seele, die doch eigentlich schon auf dem Absprung ins „After-Life“ gewesen war, schien sich in seinem Körper wieder deutlich wohler zu fühlen. Den Beweis dafür dürfen wir heute bestaunen, denn Mark-Roger hatte nach einer mehrmonatigen Pause, in denen sich alles um seiner Erkrankung und den möglichen Abschied von seinem physischen Leben gedreht hatte, wieder angefangen zu malen. Und zwar mit links.

Zunächst zaghaft, dann immer sicherer, und vor allem unermüdlich übte er nun mit der linken Hand, was die rechte Hand im Zuge seiner Halbseitenlähmung nicht mehr schaffte. Und ich bin absolut begeistert, welch hohes Niveau Mark-Roger in seiner „Links-Art“ wie er seine neue Kunst liebevoll nennt, bereits erreicht hat. 

Wir haben für die Ausstellung auf der Palliativstation insgesamt 26 Bilder rausgesucht, und ich muss gestehen, dass war gar nicht so einfach. In seinem „früheren“ Leben hat Mark-Roger nämlich bereits mehrere hundert Bilder gemalt, ein Oeuvre, das seinesgleichen sucht. In seinen farbgewaltigen Bildern geht es dabei immer wieder um den Menschen, der seinen Platz in dieser Welt sucht, der sich in Beziehung setzt zum Leben – aber auch zum Sterben. Es geht, um es in Mark-Rogers Worten zu sagen, um „das Leben in all seinen Facetten.“

Gemeinsam mit einer Patientin haben die Palliativärztin Julia Fleeth und ich schließlich  auf der Station die Endauswahl getroffen und dabei haben wir uns gemeinsam gefragt, welche Bilder Menschen, die sich in einer existenziellen Situation befinden, aber auch ihre Angehörigen, auf einer tieferen Ebene ansprechen könnten. Welche Motive passen zu dem Leben auf einer Station, auf der eben auch gestorben wird? Denn, das ist mir ganz wichtig, eine „Auferstehung“ wie Mark-Roger sie gerade erlebt, passiert eben nur once in a blue moon

Den meisten Menschen bleibt ihr großer Wunsch nach „mehr Zeit“ versagt, und selbst dann, wenn eine neuartige Therapie das Leben noch einmal auf unbestimmte Zeit verlängert ist, ist es eine Kunst, diese auch zu nutzen – wirklich im Jetzt zu sein und sich nicht ständig zu fragen, wie lange es diesmal gut geht, bis der nächste Krankheitsschub kommt und mit ihm diesmal vielleicht auch wirklich der Tod.

Im Falle von Mark-Roger kann man das mit der „Kunst“ sogar wörtlich nehmen, denn genau das ist, was er nun wieder mit einer ungebrochenen Energie und mit neu gewonnener Lebenslust jeden Tag praktiziert. Obwohl er im Rollstuhl sitzt, zumindest die meiste Zeit, denn ich weiß, dass er inzwischen sogar das Laufen trainiert, und es würde mich nicht wundern, wenn er bei seiner nächsten Vernissage seine Gäste wieder im Stehen begrüßt. 

Es war also immer klar, dass wir auf der Station, aufgrund der räumlichen Verhältnisse, nur eine begrenzte Auswahl an Bildern vorstellen können. Ich hatte zuerst an jeweils zwölf Bilder gedacht, zwölf von den großen mit rechts gemalten Bildern und zwölf der kleineren, mit links gemalten. Die Zahl Zwölf spiegelt den Kreislauf des Jahres und somit auch des Lebens wider – wir haben zwölf Monate und – in der Regel – auch zwölf Mondzyklen. 
„13 ist aber auch ne gute Zahl“, sagte Mark-Roger darauf, denn manchmal hat das Jahr eben auch 13 Vollmonde, und uns beiden gefiel der Gedanke, dass wir mit der Zahl 13 auch auf jene Extra-Zeit anspielen, in der Mark-Roger sich gerade befindet, und von der er vor einem guten dreiviertel Jahr noch gar nicht wusste, ob er sie überhaupt haben will. 

Wir haben uns entschieden, die 13 großen Bilder auf den Fluren der Station aufzuhängen, ganz bewusst ohne Rahmen, d.h. sie dürfen, wenngleich natürlich liebevoll und vorsichtig, auch angefasst werden, denn sie sind alle in der für Mark-Roger Badel so typischen Rakelkunst geschaffen wurden. Das ist schon verlockend, da auch mal behutsam drüber zu streichen. In unserem Aufenthaltszimmer für Patienten und Angehörige, in dem auch unser Klavier steht, hängen 13 von Marks-Rogers neuen, mit links gemalten Bilder. Das Klavierzimmer stellt sozusagen den 13. Mond dar, in dessen Umlaufbahn sich Mark-Rogers Leben, seine Seele und sein bemerkenswertes Schaffen gerade befinden. 

Lieber Mark-Roger, es war mir eine große Freude, gemeinsam mit dir und Julia diese Ausstellung zu planen und umzusetzen. Auch wenn ich immer sage, dass ich mit meiner Arbeit eigentlich nicht für die Zwei Prozent der Menschen stehe, die eine normalerweise tödlich verlaufende Krankheit wie durch ein Wunder überleben. Darüber berichten die Zeitungen und das Fernsehen, das auch bei deiner Vernissage gefilmt hat. 
Ich stehe mit meiner Arbeit eigentlich für die vermeintlich unspektakulären Geschichten der anderen 98 Prozent, für die Menschen, die still und leise nach Plan sterben, unter anderem auf diese Station. Aber du bist hierher zurückgekommen, um diesen 98 Prozent und ihren Familien und Freunden ein Geschenk zu machen. Das Geschenk deiner berührenden Bilder, die auf eine wirklich ganz besondere Art und Weise von dem „Leben in all seinen Facetten“ erzählen, und damit so oft auch vom Sterben. 
Und dabei machen diese Bilder irgendwie auch Mut, mir zumindest, denn was das Sterben angeht, sitzen wir „am Ende“ doch alle im gleichen Boot. Du kommunizierst mit deinen Bildern auf eine Art und Weise, die nur schwer zu beschreiben ist, und für die auch mir die Worte fehlen. Aber gute Kunst ist ja auch etwas, was man sowieso nicht zerreden sollte. 

Darum möchten wir Sie jetzt einladen, selbst ein Auge auf diese wundervollen Bilder zu werfen und sich zu erlauben, von ihnen berührt zu werden. An diesem besonderen Ort, auf der Palliativstation der Asklepios Klinik St. Georg, an dem so manche Lebensgeschichte ihr Ende findet, aber ab und zu, nämlich once in a blue moon, auch der Anfang einer neuen Geschichte geschrieben wird.

Mehr über Mark-Roger Badel <Hier Klicken>

Annika Röhrs hat für den NDR einen Film über Mark-Roger gedreht: 
https://www.ndr.de/kultur/kunst/hamburg/Mark-Roger-Badel-Von-der-toedlichen-Krankheit-zum-Neuanfang-mit-Links,markrogerbadel100.html