WÜRDEZENTRIERTE THERAPIE

„Das Leben ist ein Geschenk, das wir eines Tages zurückgeben müssen, die Verbindung bricht ab und, federleicht, reisen wir weiter. Bis jemand unsere Geschichte erzählt. Dann, auf magische Weise, kehrt ein Teil von uns zurück.“

Dan Yashinsky, Storyteller

2019 habe ich bei der Gesellschaft für Patientenwürde in Mainz die Ausbildung in der „Würdezentrierten Therapie“ (Dignity Therapy) absolviert, die von dem kanadischen Palliativpsychologen Harvey M. Chochinov forschungsbasiert entwickelt wurde. 2021 haben ich das Aufbauseminar besucht.

Die Würdezentrierte Therapie bildet den Grundstock meines Story Care Angebots – durch sie habe ich eine im wahrsten Sinne des Wortes  wundervolle Möglichkeit gefunden, meine Liebe für das Schreiben mit der Palliativbegleitung zu verbinden. Während die Würdezentrierte Therapie sich in ihrem Selbstverständnis jedoch als psychologische Kurzintervention versteht, setze ich mit ganzem Herzen auf die Kraft des Geschichtenerzählens, daher nenne ich meine Arbeit auch „Story Care“, bzw. das entstehende Dokument „Palligrafie“, eine Wortschöpfung aus den Begriffen Palliativ und Biografie.

Die Kraft des Geschichtenerzählens in der Sterbebegleitung

Geschichtenerzählen ist so alt wie die Menschheit – schon vor Tausenden von Jahren saßen die Menschen am Lagerfeuer zusammen und teilten ihre Abenteuer, aber auch ihre Trauer miteinander. Indem wir unsere Geschichte erzählen, kann sich nachweislich unser Nervensystem beruhigen und sogar die Hormonausschüttung im Gehirn kann reguliert werden. Häufig erlebe ich bereits im ersten Kennenlerngespräch, wie mein Gegenüber zunehmend in die Entspannung findet und dabei gleichzeitig wacher und konzentrierter wird. Das ist auch wissenschaftlich erklärbar: Dort, wo vorher Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol das Sagen hatten, dürfen sich nun Dopamin, Endorphin und Oxytozin ausbreiten – für mehr Konzentration, Freude, Verbindung und Empathie.

Die traurigen Momente ebenso würdigen

Meine Herangehensweise unterscheidet sich auch insofern, dass neben dem wertschätzenden Rückblick auf das gelebte Leben auch die Gefühle und Gedanken im Hinblick auf den bevorstehenden Tod zum Ausdruck gebracht werden können. Während die Würdezentrierte Therapie vor allem die positiven Dinge in den Fokus ihrer Rückschau nimmt, finden in der Palligrafie ganz bewusst auch die traurigen Momente des Lebens und des Sterbens eine Zuflucht, mit denen sich todkranke Menschen mitunter sehr allein gelassen fühlen können. Häufig fällt es Menschen, die an dem Projekt teilgenommen haben, im Anschluss ein wenig leichter, ihr inneres Einverständnis in ihre Situation zu geben und ihre letzten Lebenswochen oder Monate, aber auch ihren Abschied ganz bewusst zu gestalten. 
Auch den Angehörigen kann das von einem geliebten Menschen verfasste Schriftstück in Zeiten der Trauer Trost spenden. Es ist tröstend und hilfreich zu wissen, wie ein Mensch erinnert werden möchte und welche Dinge ihm im Leben am wichtigsten waren – und manchmal eben auch, wie er sich das „Danach“ vorgestellt hat. 

Auf den flexiblen Fragenkatalog, den Professor Chochinov mit seinem kanadischen Forschungsteam entwickelt hat, möchte ich auch in Zukunft nicht verzichten – er bildet eine tolle Grundlage und Struktur für meine Gespräche. Inzwischen habe ich ihn um neue Impulse aus den Praxis-Erfahrungen mit meinen Patienten ergänzt, und dabei auch mein Gespür fürs Storytelling mit einfließen lassen. Ich mag es, wenn am Ende eine fließende und in sich geschlossene Geschichte entstanden ist. Natürlich entscheidet dabei immer mein Gegenüber über was er sprechen möchte – oder über was lieber nicht.

Ein kleiner Auszug aus dem Fragenkatalog:

Wenn Sie durch Ihr Leben reisen und an einer Station anhalten sollten, an der Sie besonders glücklich waren – in welcher Zeit wäre das?

Gibt es etwas, auf das Sie besonders stolz sind? Zum Beispiel einen beruflichen oder privaten Aufgabenbereich? 

Gibt es etwas, das Sie über das Leben gelernt haben, was Sie an andere weitergeben möchten? Worauf kommt es an im Leben, Ihrer Meinung nach?

Was möchten Sie denjenigen, die ihnen am Herzen liegen, für Zukunft mit auf den Weg geben? Haben Sie bestimmte Wünsche oder Hoffnungen für Sie?